Das Glück des Tagelöhners

Armenien, aus: Trau deiner Sehnsucht mehr als deiner Verzweiflung, Matthias-Grünewald-Verlag, 2007

 

Es war einmal ein armer Tagelöhner, der lebte glücklich und zufrieden mit seiner Frau und seinen Kindern in einem kleinen Haus am Rand des großen Waldes. Er fällte Bäume, hackte Holz, schnitt Bretter zu und verdiente so sein tägliches Brot. Das war eine schwere, mühsame Arbeit, viel Schweiß für wenig Lohn, und doch klang am Abend meist Lachen und Singen aus dem kleinen Haus, so dass die Leute sich wunderten.

Auch der König, der auf dem Weg zum Schloss oft an dem kleinen Haus vorbeikam, hörte das Singen und Lachen. Erst war auch er verwundert, dann verärgert, schließlich war er ganz empört: „Was haben Tagelöhner zu lachen?“ und er schickte seinen Hauptmann zu dem kleinen Haus.

„Höre, Holzhacker“, sagte der Hauptmann der Soldaten, „dies befiehlt dir unser Herr, der König: Fülle bis zum Morgengrauen fünfzig Sack mit Sägemehl, und schaffst du das nicht, so seid ihr alle des Todes, du, deine Frau und deine Kinder!“

Der Tagelöhner erschrak. „Fünfzig Säcke Sägemehl! In einer Nacht! Das kann kein Mensch schaffen. Ach, wir sind verloren.“ Seine Frau aber tröstete ihn und sprach: „Mein Lieber, wir haben ein gutes Leben gehabt. Wir hatten uns und unsere Kinder, wir hatten Freunde und Freude genug. Die fünfzig Säcke können wir doch nie bis zum Morgen füllen. Darum lass uns in dieser Nacht noch einmal unser glückliches Leben feiern, mit unseren Kindern und Freunden. So, wie wir gelebt haben, wollen wir auch dem Tod entgegengehn!“

Und sie riefen ihre Kinder und luden ihre Freunde ein und feierten in dieser Nacht noch einmal ein Fest, sangen und lachten und waren glücklich bis zum Morgengrauen. Dann schliefen die Kinder ein, und die Freunde gingen, einer nach dem andern, und dann war der Tagelöhner allein mit seiner Frau. Sie standen am Fenster und warteten auf die Morgensonne. Da überfiel die Frau die Traurigkeit. „Nun ist es aus mit uns“, sagte sie, „ach, es ist schwer, das Leben zu lassen, wenn es so glücklich war.“ – „Lass gut sein“, sagte der Mann, „es ist doch besser, dankbar für all unser Glück zu sterben als weiterzuleben in ständiger Angst und Traurigkeit.“

Da klopfte es an die Tür. „Das werden die Männer des Königs sein“, sagte der Tagelöhner. Noch einmal umarmte er seine Frau, dann machte er die Tür weit auf. Draußen stand der Hauptmann des Königs. Nur zögernd trat er über die Schwelle, und lange schwieg er. „Höre, Holzhacker“, sagte er dann, „schneide zwölf Eichenbretter für einen Sarg. In dieser Nacht ist der König gestorben.“